Monte Rosa Skymarathon 2023

Ich: „Och nee, da kommt noch einer!“
Vincent: „Sollen wir fighten?“
Ich: „Wo ist denn der andere?“
Vincent: „Etwas zurück, sollen wir fighten?“
Ich: „Ja fighten, nicht die Ziellinie teilen!“

Wir ziehen das Tempo deutlich an und hämmern mit müden Beinen durch die letzten Serpentinen den felsigen Waldweg hinunter, jetzt bloß nicht stürzen! Erste Zuschauer tauchen auf, Kuhglocken überall, aber keine Verfolger mehr, weiter gehts durch enge Gassen steil das Dorf hinab und ab in den rosa Zielkanal.
Nach 32km, 3500 Höhenmetern und 8:36:29 und bleibt die Uhr stehen, wir nicht – man reicht uns zwei Stühle.
Der Monte Rosa Sky Marathon ist geschafft und wir auch.

Doch ein halbes Jahr zurück: Es muss irgendwann im November 2022 gewesen sein, als Vincent mir auf meiner Terrassenbaustelle schuftend von neuen Ideen für 2023 erzählt. „Ich will irgendwas Größeres in den Alpen machen, was mit Abenteuercharakter. Hast du schon mal vom Monte Rosa Sky Race gehört?“ Hatte ich nicht, was soll das sein, man wird doch wohl nicht… Doch man rennt im Zweierteam wirklich ganz hoch! Und runter… Wer macht sowas?? Aber da war die Antwort eigentlich schon klar. Wir!
Erste Hürde ist bereits die Anmeldung: Man muss sich für den Lauf mit alpinistischer Vita und Trailrunnachweisen bewerben. Da Vincent und ich jeweils in einer Kategorie glänzen können, sind wir drinnen.
Nachdem wir 2017 zusammen am Mont Blanc schon mal „zum Spaß“ eine ähnliche Aktion gemacht hatten (hier gehts zum Bericht) wussten wir: „Das sollte schon gehen, sind ja etwas weniger Höhenmeter diesmal und im Wettkampf sind wir ja auch schneller“.
Mit dieser etwas lapidaren Einstellung zogen die Monate in’s Land, Vincent haut konstant Topplatzierungen und neue Bestzeiten raus, bei mir ist die Motivation etwas zu niedrig, bis auf den Sky Run stehen ja auch keine Wettkämpfe an… „Es reicht, wenn ich im Frühling anfange, die langen Einheiten auf dem Rad mache und längere Läufe im Siebengebirge mache.“ So ähnlich kam es dann auch, bis auf die Tatsache, dass es mit den längeren Läufen nichts wurde, da mich eine lästige Sprunggelenkentzündung heimsuchte, die über zwei Monate längere und steilere Läufe gekonnt zu verhindern wusste. Exakt zwei Wochen vor dem Wettkampf verschwand sie wie sie gekommen war: Von einem auf den anderen Tag. Thanks for nothing!

Einige Tage vor dem Wettkampf war unser Selbstbewusstsein plötzlich zum ersten Mal etwas angeknackst, als Vincent mal die Cut-Off Zeiten überschlagen hat. Am ersten Checkpoint muss man nach drei Stunden einen Schnitt von 700 Höhenmetern pro Stunde schaffen, sonst wird man rausgenommen. 700 HM/h sind komfortabel machbar, aber drei Stunden am Stück inkl. Flachpassagen, Stau an Engstellen, Grödel anziehen etc – da müssen wir auf jeden Fall 800 HM/h machen um auf der sicheren Seite zu sein. Und danach geht das Rennen ja eigentlich erst los denn es warten weitere Cut-Off-Zeiten weiter oben am Berg, auf dem Gipfel und im Abstieg! Und Vincent ist noch null akklimatisiert, meine Akklimatisierung ist auch nicht wie gewünscht verlaufen.

Vincent Pyramide auf der Vincent Pyramide

 

Unser last-minute Plan war dann, dass wir zwei! Tage vor dem Rennen ganz schnell noch mal auf die Vincent Pyramide (ja, die heißt wirklich so!) steigen (~4200m) und dann auf 3500m übernachten, damit der Körper zumindest ein Mindestmaß an Akklimatisierung bekommt, sonst würden wir das Rennen wohl nicht schaffen.
Gesagt – getan, wenig später steht Vincent auf seiner Pyramide, ich halte den geschichtsträchtigen Moment im eiskalten Wind fotografisch fest und mit pochendem Kopf stapfen wir umgehend hinab zur Hütte. Unterwegs versuche ich mal kurz bergablaufend etwas Wettkampffeeling zu bekommen, nach gefühlt zehn Schritten wird das Experiment abgebrochen. Ich hechle wie ein Hund.

Zurück an der Hütte beginnt das Martyrium: Mit stechenden Kopfschmerzen schlurfen wir durch die Hütte, ach besser wir legen uns einfach nur hin und warten, dass es besser wird. Vincent geht kotzen. Jo, läuft bei uns, genau so macht man es nicht!
Jetzt hoffen wir eigentlich nur noch, dass wir das Rennen finishen können und vielleicht nicht letzter werden, denn mittlerweile ist uns klar, dass dieses Rennen fast ausnahmslos von starken Athleten besetzt ist. Ich bekomme in der Nacht kaum ein Auge zu, der Körper arbeitet die ganze Nacht und kommt nicht zur Ruhe. Doch am Morgen sieht es schon besser aus, die Kopfschmerzen sind fast weg und wir essen und trinken noch mal reichlich, dann geht es zurück ins’s Tal: Startnummernausgabe, ausruhen, Race Briefing, Pizza, Sachen packen, schlafen!

Ausrüstung packen

 

Um 4:30 klingelt der Wecker, noch eine Stunde bis zum Start! Schnell in die Klamotten, auf dem Weg zum Startbereich essen wir Brötchen und kippen ne Dose „Natural Energy Drink“ runter. Der Chip wird aktiviert und dann ab in die Startaufstellung.
Wir sortieren uns direkt mal weiter hinten im Feld ein. Ziemlich kurios, da Vincent normalerweise in der ersten Reihe stehen würde und ich auch nicht weit dahinter. Naja, heute ist mal alles anders. Vor uns stehen zwei Japaner in Hightechausrüstungspartnerlook, links von mir zwei kleine ältere, drahtige Italiener, rings umher braungebrannte, durchtrainierte Jungs und Mädels.

Nach dem Startschuss bleiben wir cool, versuchen entspannt und konstant unsere 800HM/h runterzuspulen, werden überholt, überholen, stehen kurz im Stau, machen ein paar kurze „Zwischensprints“. Irgendwann hat sich alles sortiert und wir steigen gleichmäßig in der Kolonne dem Checkpoint Indren entgegen. Alles ist im Plan, es ist hart, aber nicht zu hart, immer wenn sich eine kleine Lücke bildet schiebt Vincent mich sofort wieder ran.

Kurz vor dem Start
167 Teams machen sich bereit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noch ist der Schnee hart und nicht zu rutschig
Auf dem Weg zur Punda Indren

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pundra Indren, die alte Seilbahnstation auf 3200m, erreichen wir im Mittelfeld. Wir seilen uns an und steigen zügig dem steilen Couloir entgegen, das von Fixseilen gesichert und mit zahlreichen Bergführern ausgestattet auf unsere Besteigung wartet. Oben angekommen sind es nun noch 1000 Höhenmeter über den riesigen Gletscher. Es wird kälter, Vincent stapft stoisch voran, ich kann sein Tempo nicht mitgehen, also bekomme ich etwas Seilzug. Es ist mir unbegreiflich, wo er diese Kraft herholt, nachdem er vorgestern noch unakklimatisiert auf der Hütte gesiecht ist.

Wir können den Gipfel noch nicht mal sehen, da sehen wir zwei Gestalten auf uns zurasen. Die ersten sind schon auf dem Rückweg! Was für krasse Typen, das ist wirklich extrem und selbst für uns gut Trainierte kaum nachvollziehbar. (Sie werden später den Streckenrekord brechen). Egal, immer weiter, die Füße werden kalt in den dünnen Schläppchen, wir müssen Jacke und Handschuhe anziehen, es geht auf die -10°C zu.
Ich fühle mich mittlerweile ziemlich ausgelutscht, den anderen geht es aber auch nicht besser, wir können in dieser Phase einige Teams hinter uns lassen. Vincent zeigt keine Schwäche, immer wieder Seilzug, nebenbei macht er Fotos, dreht Filmchen, feuert das erste Frauenteam an, das von oben kommend an uns vorbeiballert, es wird immer kurioser…

Am Colle del Lys können wir endlich das Ziel auf 4554m sehen. Dreihundert HM noch und es sieht noch ganz schön weit aus. Die Höhe macht sich jetzt deutlich bemerkbar und aus der Vertikalgeschwindigkeit von 800 HM/h werden höchstens noch 400 HM/h. Aber das ist o.k., wir haben gut Puffer zum cut off und ich fühle mich nach einem kurzen Zwischentief wieder ganz passabel.

Ca. 30 Minuten später stehen wir an der Capanna Margherita auf 4554m, dem Gipfel des Rennens, es ist fies kalt und ein scharfer Wind pfeift über den Berg. 5 Stunden und 20 Minuten haben wir vom Tal (1200m) bis hier her benötigt. Wir kauern uns in eine Ecke, kurz essen, trinken, Foto und nichts wie runter!

Leider blieb wenig Zeit, die schöne Aussicht zu genießen
Die letzten Meter auf dem Gipfelgrat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Gipfel an der Capanna Margherita (4554m)

Entgegen meiner Befürchtung klappt das Laufen sogar ganz oben am Berg, zwar nicht schnell, aber wir trotten konstant dem Colle del Lys entgegen. Wir sind nun etwas einsamer, nur noch wenige Teams sind zu sehen. Je weiter wir runter kommen um so besser komme ich in’s Laufen rein, laufe voran, um das Tempo zu steuern, bergab macht ziehen keinen Sinn. Die Schritte werden länger, der Schnee firnt etwas auf, so dass man immer schneller laufen kann. Nun können wir den Hahn richtig aufmachen. Laut rufend pflüge ich durch die Spur, Bergsteiger und andere Teams weichen ehrfürchtig zur Seite und lassen uns vorbeizischen, ich höre VIncent hinter mir laut lachen, er hat richtig Spaß 🙂

Als wir zurück am Couloir ankommen ist der Spaß aber schlagartig vorbei, der mittlerweile butterweiche Schnee hat sich in eine 100 Meter lange Rutschpartie verwandelt. Mit den Trailschläppchen ist darin kaum halt zu finden. Wir müssen ganz schön hilflos aussehen, wie wir in den Seilen hängend dort runtereiern.
Danach kommt der hässlichste Teil des Rennens. Weiche, steile Schneespur, es ist ein einziges Rutschen, Einsinken, Stolpern, Fluchen, Auf-dem-Arsch-landen. Die Stöcke sind absolut nutzlos und stochern durch den Schnee wie durch Milchschaum. Uns ist die Zeit jetzt egal, durch diese fiese Plörre wollen wir uns jetzt nicht mir aller Kraft durchkämpfen, das ist mega ineffiezient, also Gang rausnehmen und konzentrieren.

Doch dann kommt unverhofft die Wende! Denn in welcher Sportart sind die Deutschen besonders gut? Richtig! Bobfahren! Hangneigung und Schneebeschaffenheit haben nun das perfekte Verhältnis um auf dem Arsch runterzurutschen und im Schnee haben sich dadurch bereits Bobbahnen entwickelt, die so mancher Wasserrutsche im Freiband den Rang ablaufen und Georg Hackl zu einem Comeback veranlassen würden. Noch nie hatten wir in einem Wettkampf so einen Spaß, jede neue Bahn entlockt neue „Muhaha“-, „Wuhuuuuu“- und „WieGeilIstdasDenn“-Laute.

Wir sind mittlerweile patschnass! Aber jeder Spaß ist irgendwann vorbei, so auch der Schnee. Als dieser aufhört, liegen noch fast 2000 HM Trail vor uns. Selbst das Runterlaufen finde ich jetzt ziemlich anstrengend. Mein Knie war von einem Mountainbikesturz die Woche vorher etwas angeschlagen und wir entscheiden uns, kontrolliert runterzulaufen und nicht jetzt noch kompromisslos zu ballern. Die Zielzeit ist uns nicht mehr wichtig. So spulen wir den Rest der Strecke routiniert ab, die handvoll ambitionierter anderer Teams die auf uns auflaufen, lassen wir kampflos passieren,

bis kurz vor dem Ziel noch zwei Athleten von hinten auftauchen…

 

Sebastian auf dem Weg zum Olympiasieg im Einerbob
Nochmal Gas geben!

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Monte Rosa Skymarathon 2023

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